Volksleidenschaft Funkschach

Was brauchen die Genossen Armisten und Arbeiter neben ihrer täglichen Ration Vodka noch zum Glücklichsein? Natürlich einen Sportklub, mit dem sie mitfiebern, leiden und jubeln können! Ist die Wache öde oder in der Kaschemme ist keine Stimmung, warum nicht mal (mehr oder minder) gesittet den letzten Spieltag diskutieren?

Ja, Sportbegeisterung ist in der KFB keine Bagatelle – ob beim angespannten Lauschen der Sportergebnisse im Radio, hastig beim Appell getauschten Wetteinsätzen, bis hin zu mit Fäusten ausgetragene eingefahrene Klubfeindschaften oder stundenlange pseudofachmännische Gespräche über Taktik und Spieler – inklusive Gerüchte über anstehende Transfers.

Nur gestaltet sich ein physikalisch ausgetragener Sport in der Enge der Bunker natürlich schwierig. Gespielt wird also – na? Jawohl, Schach! Ja richtig, das mit den schwarzen und weißen Feldern und vielen komplizierten Figürchen! Warum ausgerechnet? Ganz einfach: Der Transport von Menschen über Strecken, wie es für eine Liga fast jeder anderen Sportart nötig wäre, war zu Bunkerzeiten und auch heute im Ödland praktisch kaum möglich. Schach hingegen lässt sich aufgrund seiner vergleichsweise einfachen Regeln und der definierbaren Position jeder Figur auf dem Brett auch an zwei Standorten gleichzeitig spielen. Solange es eine bestehende Funkverbindung gibt – zur Not über Releestationen – kann man miteinander spielen.

Und damit du selbstverständlich Mitfiebern kannst in der aufregenden Welt der Sportsfreunde, haben wir dir hier einen Auszug der Clublisten der für uns relevanten Ligen aufgeführt.

1. Liga

Die 1. Liga entspricht sozusagen der “Barinistischen Bundesliga”; hier spielen die Topvereine mit teilweise teuer eingekauften Spielern.
Hier eine Auswahl der bekanntesten Vereine:

  • Lokomotivu Linija PO-25 (da es sich bei PO-25 um einen Industriestandort für Feinmechanik handelt, trägt sie im Volksmund den Spitznamen „Linija“ (= 2,54mm), benannt nach der Maßeinheit.)
  • Matroschkas Milija PO-01 (Damenmannschaft, benannt nach der Sperrzone rund um Baringrad)
  • Dynamo Djèvjat PO-09
  • Sparta Shestnàẓat PO-16
  • Druschba Djèsjat 3O-10
  • Artilleria Adìn BO-01
  • Pevnůstka Pjatnàzat RO-15

3. Oblastliga Zapad (3. Kreisliga West)

Die 3. Oblastliga Zapad ist die dritte Kreisliga des Sektors West und damit sozusagen das genaue Gegenteil der obigen Liste. Böse Zungen würden die hiesigen Mannschaften als „Würstchentruppen“ bezeichnen. Dafür kennt man dort manchen Spieler womöglich persönlich! Denn kaum ein Standort wird es sich nehmen lassen, eine eigene Mannschaft aufzustellen, und sei sie noch so miserabel.

  • Watniks Vosemnazat 3O-18
  • Saldati Sòrak-dva PO-42 ( (Ein Haufen betrunkener Distributniki!)
  • Oblast Odinnàzat 3O-11
  • Kombinat Kalinsk 3O-29 ( Triumph Trizat‘ adìn)

Regeln

Für all jene, die sich im Gespräch als Profikenner ereifern wollen, hier einmal ein paar Details. Aber keine Sorge: Wie Funkschach wirklich gespielt wird, ist dem Durchschnittsbarinisten weitaus weniger geläufig, als er inbrünstig vorgibt. Auch wenn jeder selbstverständlich sofort zum Regelprofi mutiert, sobald die Lieblingsmanschaft spielt – insbesondere, wenn der Obmann Anmerkungen zu Ungunsten der eigenen Mannschaft hat – bis auf wenige Ausnahmen ist der gemeine Barinist ein reiner Kistenheld, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, wenn man einmal ehrlich ist. Entscheidend ist lediglich, dass der Name der Lieblingsmannschaft laut genug gegrölt werden kann und ihr heiß geliebtes, heiliges Symbol auf so allen persönlichen Gegenständen auftaucht, auf denen der Barinistische Fan es unterbringen kann.

Nun, gespielt wird also Schach, aber als Mannschaftssportart:

  • es werden fünf Tische von zehn Spielern (5 pro Mannschaft) gleichzeitig gespielt
  • Ergebnisse können also von 0:5 bis 5:0 reichen, das Gesamtspiel gewinnt, wer mindestens drei Tische gewinnt (3:2 / 2:3)
  • alle 20 Runden wechseln die Spieler den Tisch (linksdrehend)
  • setzt ein Spieler seinen Gegner binnen der ersten 20 Runden “Schachmatt”, gewinnt die Mannschaft das Gesamtspiel sofort (Urrhaaa-Sieg, Ergebnis 0:1 / 1:0)
  • die Kommunikation erfolgt mittels Morsefunk und wird in den wichtigen Ligen von unparteiischen Obmännern überwacht. In den Kreisligen gilt das – vielleicht nicht immer ganz so neutrale – Wort des lokalen Vorgesetzten.